2022
Der Kurt-Hackenberg-Preis 2022 geht an:
COLONIA ON EIS – Pirouetten, Kolonialkritik, weiße Tränen
• Idee, Konzeption, Künstlerische Leitung: Karin Frommhagen, Azizè Flittner, Lionel Somé & Philine Velhagen
• Schauspiel: Azizè Flittner, Baris Ar, Mirka Ritter, Mekdelawit Benti
• Musik & Ton: Ralph Lennartz
• Produktion: intakt e.V.
Foto: (c) Michael Bause
Die Laudatio:
„Colonia on Eis“ holt das Publikum auf die Eisfläche im Lentpark und verbindet geschickt erste Versuche beim Schlittschuhlaufen mit Kolonial- und Rassismuskritik. Über Kopfhörer lauscht man den Anweisungen der Trainerin, die den Eislauf-Schnupperkurs „Manchmal tut’s auch weh“ anbietet. Plötzlich melden sich ganz andere Stimmen: Zeitungsberichte aus dem 19. Jahrhundert, historische Aufzeichnungen, aber auch persönliche Gedanken von Menschen, die ebenfalls auf dem Eis sind. Dabei wird gezielt – aber nicht ohne Komik – die unbewusste Voreingenommenheit des Publikums und gleichzeitig die Dichotomie zwischen Verdrängung und Vergegenwärtigung der Kolonialzeit im kollektiven Gedächtnis thematisiert.
Die Erinnerungen sind im öffentlichen Stadtbild durch Straßennamen und Denkmäler weiterhin sichtbar und erfahren somit implizit eine öffentliche Anerkennung und Ehrung. Für die einen sind sie Teil der Stadtgeschichte, für die anderen tägliche Erinnerung an eine Zeit der Ausgrenzung und Diskriminierung.
Seit einigen Jahren wird das Thema in Köln aufgearbeitet, etwa im Rahmen der kolonialkritischen Stadtteilführung „Decolonize Cologne“ oder dem städtischen Projekt „(Post)koloniales Erbe“. Dass die Notwendigkeit eines solchen Prozesses nicht von Allen gleichermaßen gesehen wird, zeigen die teils emotionalen Debatten, etwa um die M*straße oder das Kaiser Wilhelm-Denkmal. Nur langsam tastet sich unsere Gesellschaft an die Aufarbeitung heran – zögert, strauchelt. Die Idee von Karin Frommhagen, Azizè Flittner, Lionel Somé und Philine Velhagen, sich performativ-künstlerisch mit der Kolonialgeschichte Kölns auseinander zu setzen, kommt also zur richtigen Zeit.
Im Laufen oder besser Schliddern auf dem Eis hat die Produktion von intakt e.V. ein starkes Sinnbild gefunden, das gleich zwei Tatsachen für das Publikum erfahrbar macht: Zum einen die Unsicherheit, die Betroffene durch etablierte (Alltags-)Rassismen empfinden. Zum anderen die steile Lernkurve, die es braucht, damit wir die Aufarbeitung gesamtgesellschaftlich bewältigen können. Dass „Colonia on Eis“ von Schwarzen und weißen Künstler*innen gemeinsam realisiert wurde, zeigt einmal mehr, wie wichtig der Dialog ist.
So bleibt dieser Theaterabend im Gedächtnis. Nicht nur aufgrund seines außergewöhnlichen Settings und der brisanten Thematik, sondern vor allem aufgrund des eindrücklichen, immersiven Erlebens. Politisches Theater par excellence.
Jan Stangier
Nominiert waren:
Urbäng! Das Festival für performative Künste in Köln
„Artists in war“ aus der Ukraine
• Veranstalter: Kölner Ensemblenetzwerk Freihandelszone, in dieser Ausgabe mit Unterstützung durch die Ukrainerin Bozhena Pelenska, Kuratorin und Leiterin des Jam Factory Art Center in Lviv
Mölln 92 / 22
von Nuran David Calis
- Mit: Ismail Deniz, Stefko Hanushevsky, Kerstin Steffen
- Inszenierung: Nuran David Calis
- Produktion: Schauspiel Köln
Polis: Die Stimmen der Stadt
- Mit: Alice Janeczek, Andreas Beutner, Cilli Hagedorn, Clara Duchatz, Giorgos Psaroulakis, Helga Tillmann, Josef Hofmann, Krazy, Mohammad „Saado“ Kharouf, Stefan Peterburs Live-Musik: Kyusang Jeong (Bassklarinette), Peter Eisold (Percussion, Electronics & Objekte)
- Inszenierung: Jörg Fürst
- Produktion: A.TONAL.THEATER in Koproduktion mit dem Theater an der Ruhr und der VolXbühne (Mülheim an der Ruhr), Freihandelszone – Ensemblenetzwerk Köln und der Alten Feuerwache Köln
Zeit für Entscheidungen
- Mit: Gareth Charles
- Inszenierung: Deborah Krönung
- Produktion: c.t.201
Jury-Mitglieder
Dr. Sandra Nuy, Jan Stangier und Christoph Pragua